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THG auf dem Weg zur Klimaschule – Interview mit Prof. Dr. Harald Lesch

Auf Bild sind zu sehen von links: Prof. Dr. Harald Lesch, Johannes Buchmann, Janosch Papp, Mara Weeß
Auf Bild sind zu sehen von links: Prof. Dr. Harald Lesch, Johannes Buchmann, Janosch Papp, Mara Weeß

THG auf dem Weg zur Klimaschule – Interview mit Prof. Dr. Harald Lesch

 

Vor dem Vortrag von Prof. Dr. Harald Lesch am Theodor-Heuss-Gymnasium hat die Buchhandlung Lehmann es Schülerinnen und Schülern ermöglicht, ein Interview zum Thema Klimawandel zu führen.

 


Gesamtes Interview mit Harald Lesch

Janosch Papp:
Die erste Frage, wie sind Sie als Astrophysiker eigentlich auf den Klimawandel gekommen?

Harald Lesch:
(herzhaftes Lachen)
Also ich gebe jetzt erstmal eine ganz harte Antwort. Wenn mich irgendjemand so was fragt, dann frag ich immer: „Ach, ich muss mein Engagement rechtfertigen? Dein Nichtengagement ist also der Normalfall.“ Da geht es schon mal los, dass man sich überhaupt erklären muss. Ich halte das für das wichtigste Thema überhaupt, was es auf der Welt gibt. Neben der Errettung der biologischen Vielfalt und Gerechtigkeitsfragen würde ich sagen, dass der Klimaschutz absolut die Nummer eins ist. Und jeder und jede, die sich da nicht darum kümmert, aber die geistigen und intellektuellen Fähigkeiten dazu hat, also zur Klärung der Sachverhalte beizutragen, begeht meiner Ansicht nach eine große Sünde.
Und jetzt mal etwas freundlicher. Das Ganze hat damit angefangen, dass ich 1994 einen Vortrag gehalten habe. Da ging es um das Thema „Sind wir allein im Universum?“. Also die Außerirdischen haben mich zur Klimaforschung gebracht. Bei der Frage „Sind wir allein im Universum?“ geht es auch um unseren Klimacode. Das führt zur Frage nach der Bewohnbarkeit eines Planeten. Das war das erste Mal, dass ich mich mit Klima beschäftigt habe. Also die Außerirdischen haben mich dazu gebracht. Und dann habe ich erst mal wissenschaftliche Karriere gemacht, aber dann irgendwann habe ich gemerkt, wie mein Blick immer mehr und mehr in Richtung Erde zurückgeht. Seit ungefähr zehn Jahren mache ich fast nichts anderes mehr als Klima und Energiewende. Jetzt vor allem mit Fragen wie „Welche Berufe gibt es in der Energiewende?“ und so weiter. Aber das ist der Weg eines Astrophysikers. Rausgucken und dann allmählich den Blick um 180 Grad zurückwenden.

Mara Weeß:
Als Nächstes wollten wir von Ihnen wissen, ob Sie denken, dass Deutschland wirklich ganz klimaneutral werden kann?

Harald Lesch:
Die Frage zielt also in eine sehr ferne Zukunft. Es wäre schon mal schön, wenn wir uns in zehn Jahren wieder treffen und wir es geschafft hätten, die Stromversorgung so in die erneuerbaren Reihen zu bringen, dass wir zum ersten Mal richtig Probleme haben, das Zeug zu speichern. Das wäre schon mal was. Dann würde nämlich die Welt gesehen haben, dass eine der stärksten Industrienationen des Globus es geschafft hat, aus den fossilen Ressourcen zumindest in Teilen rauszukommen und trotzdem immer noch fröhlich und gut zu leben. Das wäre schon mal was.
Ob ich Klimaneutralität noch erlebe, glaube ich eher nicht. Ich bin jetzt 63, sagen wir mal, der durchschnittliche Mann in Deutschland wird so 82, 83. Also ich fürchte, das müsst ihr selber machen. Aber jetzt, momentan geht es darum, die richtigen Weichen zu stellen, dass es überhaupt geht. Und dann habe ich nicht den Eindruck, dass meine Generation wirklich verstanden hat, worum es geht.

Janosch Papp:
Was könnte dann die Politik bei dem Thema Klimaschutz besser machen, um eben die Klimaneutralität zu reichen?

Harald Lesch:
Also ganz konkret: Das erste, was jetzt sofort gemacht werden müsste, auf den Tag und morgen früh sofort, ist, ein Tempolimit einzuführen, weil das schon mal ein paar Millionen Tonnen CO2 einsparen würde. Das können wir mal ganz konkret machen.
Zweiter Schritt: Sämtliche Dächer in Deutschland mit Photovoltaik bekacheln. Sämtliche. Und nicht zu fragen, ist das jetzt so, liegt das jetzt einigermaßen da, sondern alles abzugreifen, was man an Sonnenstrahlen kriegen kann.
Der Aufbau von Windrädern ist eine Sache, die geht viel langsamer. Aber PV auf die Dächer zu bringen, das sollte eigentlich eine Sache von einer Legislaturperiode sein. Also wirklich Männer und Frauen dazu zu kriegen, Solateure zu werden und alles, was irgendwie geht, auf die Dächer, auf die Kirchendächer, auf die Dächer der kommunalen Hand. Das geht ganz schnell.
Und dann sollte man mal nach Holland fahren und sollte man mit den Holländerinnen und Holländern darüber reden, wieso die ihre Windräder so schnell hinstellen können und bei uns dauert das sieben Jahre. Und dann fahren wir wieder nach Hause. Dann machen wir es wie die Holländer.
Und eine Sache noch muss ich unbedingt erzählen. Ich bin fest davon überzeugt, dass wir die Lösung für die Speicherung von erneuerbaren Energien schon haben, nämlich so genannte Wärmespeicherkraftwerke. Schon mal davon gehört? In Wärmespeicherkraftwerken wird die überschüssige erneuerbare Energie in Salztanks reingegeben. Und Salz kann man auf 560 Grad erhitzen, Wasser ja nur auf 100 Grad, aber Salz wird 560 Grad heiß. Dieses heiße Salz wird an den Wärmetauscher gegeben. Damit macht man Wasser heiß, jagt es in die Turbine und macht damit Strom. Das kommt zurück, ist immer noch 290 Grad heiß. Und das heißt, die ganze Zeit kann man diese so genannten Wärmespeicherkraftwerke enorm gut regeln. Man kommt also schnell hoch und kommt schnell wieder runter.
Das Allertollste ist, man kann diese Wärmespeicherkraftwerke da hinstellen, wo schon Kohle- und Gaskraftwerke stehen. Das heißt, man kann die komplette Infrastruktur nutzen, die schon da ist. Man muss keine extra Leitung bauen, der Wärmetauscher, alles ist da. Nur verbrennt man eben keine Kohle, um Wasser heiß zu machen, sondern man nimmt die Wärme aus dem Salz. Und dann kann man einen Block neben den anderen stellen und kann zum ersten Mal erneuerbare Energie voll grundlastfähig machen. Das heißt, man hat die ganze Zeit die erneuerbare Energie. Und wenn das gelänge, wenn klar wird, dass keine Kilowattstunde von Wind- oder Sonnenenergie irgendwie verschenkt wird oder dass Windräder angehalten werden müssen, weil wir einfach nicht wissen, wohin mit dem Strom.
Oder jetzt bei so einer meteorologischen Situation seit Wochen, wo wir tagsüber Solarstrom haben ... Es gibt ja manche Tage, da haben wir 72 bis 73 Prozent Strom nur aus Solar. Da läuft kein Gaskraftwerk, da ist kein Kohlekraftwerk an, nichts. Da ist alles fast zu 100 Prozent erneuerbar. Und dann geht die Sonne unter. Also ich glaube, wenn diese Speichertechnologie kommt, dass das der Schlüssel ist.

Janosch Papp:
Okay, und auch wenn es die Politik jetzt nicht so auf die Reihe bringt, was kann jede Einzelne gegen den Klimawandel tun?

Harald Lesch:
Mitglied in einer Energiegenossenschaft werden. Also diejenigen, die Geld haben, sollten sofort Mitglied in einer Energiegenossenschaft werden und sollten diesen Genossenschaften die Möglichkeit geben, große Anlagen zu bauen, weil oft genug heißt es ja daheim „Ah, ich will nichts auf dem Dach haben.“ und so weiter und so fort. Also Energiegenossenschaften sind für mich die ideale Form der Beteiligung der Bevölkerung, an dieser unglaublichen Infrastrukturmaßnahme Energiewende. Und das ist für mich das Allererste, was jemand machen sollte. Unbedingt. Übrigens kann man damit auch mit Geld verdienen. Wir haben Renditen zwischen drei und vier Prozent. Das heißt, die Bevölkerung könnte von der Energiewende sogar noch profitieren und nicht nur anonyme Investoren, die irgendwo sitzen und sowieso schon so reich sind. Das wäre mal das Allererste.
Das Nächste ist natürlich der Ausbau von ... Das heißt, wir brauchen die Infrastruktur, damit sich alle so verhalten können. Es gibt private Verhaltensmaßnahmen, also beim Essen zum Beispiel, aber auch bei der Mobilität natürlich.
Ihr seid hier doch Klimaschule?

Lena Pollak:
Wir wollen Klimaschule werden.

Harald Lesch:
Kennt ihr den ökologischen Fußabdruck an der Schule?

Lena Pollak:
Das wollen wir eben jetzt in dem P-Seminar erarbeiten.

Harald Lesch:
Okay, den könnt ihr ja mal angucken, macht ja Spaß, also es gibt ja die Klimarechner. Und dann werdet ihr sehen. Ich verrate euch schon mal das Ergebnis. Also bei einer Schule, die knapp 400 Tonnen CO2 emittiert, sind 293 Tonnen CO2 die Mobilität der Beteiligten. Also egal, wie vegan dann gegessen wird oder was. Das ist der dickste Elefant in der Küche. Das heißt, Abschaffung der Eltern-Taxis führt schon mal dazu, dass 50 Prozent weniger CO2 emittiert wird. Das sind natürlich ganz wichtige Sachen. Daran sieht man auch, wie wir mit Mobilität umgehen. Ganz wichtig, dass eben 20 bis 25 Prozent unserer Emissionen aus dem Verkehr kommen, wo eben sehr wenig passiert. Ich glaube, und das muss man einfach mal sagen, die Energiewirtschaft hat ihre Hausaufgaben immer gemacht. Die verringern ihre Emissionen tatsächlich. Aber Industrie und Verkehr und auch die privaten Haushalte haben nichts getan.
Habt ihr auch unser Buch „Erneuerbare Energien zum Verstehen und Mitreden“ gesehen?

Lena Pollak:
Ja, habe ich bestellt.

Harald Lesch:
Das bekommt ihr, und da bin ich besonders stolz, bei der Bundeszentrale für politische Bildung gibt es das Buch. Das ist in der Schriftenreihe. Da könnt ihr sehen, dass zum Beispiel der Endenergieverbrauch der Bundesrepublik in den letzten 30 Jahren immer gleich geblieben ist. Obwohl die Technologien immer besser werden, immer effizienter und so weiter, sparsamer, wir verbrauchen immer die gleiche Menge an Energie. Und das heißt, wir müssen energisch sparen.
Das muss auf jeden Fall drin sein. Ohne dass man dann direkt verzichtet, kann man eine ganze Menge an Energie sparen. Um mal ein Beispiel zu nennen, ich will euch ja nicht totreden, aber nur um mal ein Beispiel zu nennen: Wenn ich den Strom aus fossilen Ressourcen mache, dann habe ich große Wärmeverluste. Die kann ich zwar in so einem Kraft-Wärme-Kopplungsmodell irgendwie wieder zurückgewinnen, aber ich verliere Wärme. Wenn ich erneuerbare Energien nehme, habe ich praktisch überhaupt keine Wärmeverluste. Das heißt, ich habe eine Menge an Energie, die ich momentan verliere, weil ich die falschen Rohstoffe verwende, um Energie und Wärme zu erzeugen.
Der Wärmesektor, also eine Wärmepumpe kaufen … Ich würde dringend empfehlen, eine deutsche Wärmepumpe zu kaufen, vor allem wenn man ein Reihenhaus hat. Denn die chinesischen Wärmepumpen sind laut. Dann kommt der Nachbar nachts um zwölf. Dann gibt's Krach. Wenn ihr könnt, macht eine Reise zur Viessmann-Group. Guckt euch mal an, wie die versuchen, eine Wärmepumpe so leise zu machen, dass man sie nicht mehr hört. Die haben da ein riesiges Tonstudio. Da steht eine Wärmepumpe in der Mitte. Und da sind alle Teile drin, die irgendwie schwingen und dadurch Krach machen. Und daneben steht dann ein Ding aus China oder aus Südkorea. Da hast du das Gefühl, du hast so einen Tinnitus.
Das sind die großen Projekte. Also natürlich generationenabhängig, aber meine Generation kann sofort PV aufs Dach machen, runter vom Gas und so schnell wie möglich in die E-Mobilität rein oder am besten sogar noch, da wo es möglich ist, in öffentliche Verkehrsmittel … Und ich muss ganz ehrlich sagen, ich finde Straßenbahnen sehr stark. Straßenbahnen haben den großen Vorteil, dass sie an ein Netz angeschlossen werden können, die brauchen keine Batterien. Das heißt, sie sind nicht so schwer. Und wenn sie nicht so schwer sind, brauche ich auch nicht so viel Energie. Also Straßenbahnen fände ich schon gut. So eine Stadt wie Kassel ist zum Beispiel eine interessante Stadt. Sie hat keine U-Bahn, aber sie hat ein tolles Straßenbahnnetz und das ist sehr gelungen.
Und für euch heißt das eigentlich nur: Eure Generation muss uns Alten dazu bringen, dass wir das Richtige tun.

Johannes Buchmann:
Denken Sie, dass der Klimawandel noch zu stoppen wäre?

Harald Lesch:
(lange Pause)
Manchmal ja, manchmal nein. Wenn wieder eine Nachricht kommt, dass irgendwas viel schneller oder intensiver oder deutlicher eingetreten ist, als man gedacht hat. Wenn eine Klimaforscherin sagt, wir sehen jetzt Phänomene, von denen wir eigentlich gedacht haben, dass wir die erst in 30 Jahre sehen, dann sitze ich da und höre zu. Ich kenne viele von den Kolleginnen und Kollegen. Und wenn ich nachfrage, dann erklären sie mir das.
Die Antje Boetius, die sich mit der Polarstern hat einfrieren lassen, die zu mir dann so einen Satz sagt, den sie öffentlich nie so ohne Weiteres sagt: „Wir haben dem Eis beim Sterben zugesehen.“ Wenn sie dann anekdotisch erzählt, warum das Eis so dünn ist und so weiter, dann wird es einem schon schwer gemacht, noch zu glauben, dass man das noch schafft.
Aber dann kommt bei mir der kritische Rationalismus durch und für den kritischen Rationalisten gibt keine Alternative zum Optimismus. Also der Pessimismus würde mich eher nur schwächen in meinen Handlungsoptionen, die ich dann noch habe. Und insofern rapple ich mich dann wieder auf, wälze mich aus dem Bett und mache das, was Sisyphus getan hat. Ich rolle die Kugel hoch und mache weiter. Das ist die einzige Möglichkeit.
Das klingt jetzt ein bisschen doof, aber wäre meine Frau hier, die würde wahrscheinlich genau das Gleiche sagen. Es wird schwer, je länger wir warten mit dem, was wir tun, wenn es um den Klimaschutz geht, desto schwerer wird es. Wir haben gewartet, wir haben sehr lange gewartet. Auch weil Gesellschaften durch große Ölkonzerne über 40 Jahre lang völlig desinformiert über den wahren Inhalt derer Forschung wurden. Am Ende der 70er Jahre, Anfang der 80er Jahre hat man das alles schon gewusst. Wir haben sogar solche Kurven gehabt, da kann man ganz genau ablesen, dass wir im Jahr 2023 420 ppm CO2 haben werden. Das bedeutet, einen Mitteltemperaturanstieg von 1,2 Grad.
Das ist das, was wir heute alles mit den wahnsinnigen Klimamodellen auch berechnen. Wenn die damals die Welt informiert hätten und gesagt hätten: „Oh Freunde, da müssen wir was unternehmen, um Gottes Willen, wir müssen irgendwie raus aus den fossilen Ressourcen …“. Was haben sie gemacht? Sie haben ihre riesigen Gewinne unter anderem dafür verwendet, große Desinformationsmaschinen zu kreieren, die der Politik und Gesellschaft immer wieder gesagt haben: „So genau wissen wir das noch nicht. Dann müssen wir jetzt auch noch nichts machen. Es ist noch gar nicht sicher.“ Und wenn sie sich zum Beispiel eine der letzten Sendungen von Markus Lanz ansehen, dann ist die AfD aktuell auch immer wieder dabei zu sagen: „Das ist doch Diskursverkürzung.“ Natürlich gibt es Wissenschaftler, die klar sagen, es gibt gar keinen Klimawandel, es ist nur eine Erfindung. Im Netz finden sie eine Schlagzeile „Physik-Nobelpreisträger sagt: Klimawandel, das ist eine reine Erfindung“. Das heißt, alle diese ganzen Bezweifler haben uns 40 Jahre gekostet.
Wenn wir vor 40 Jahren angefangen hätten, in erneuerbare Energien zu investieren, Technologien zu entwickeln, was glaubt ihr, was wir heute hier für eine CO2-Emission hätten. Die wäre natürlich viel geringer. Das hätte die ganze Welt gemerkt. Vor allem Dingen, wenn wir angefangen hätten, mit dem Wirtschaftswachstum von Indien und China diese Technologien bereitzustellen, dann hätten die viele Braunkohlekraftwerke nicht mehr gebaut. Und wir hätten auch viele Braunkohlekraftwerke nicht mehr. Stellt euch mal vor, wir hätten uns in den 50er Jahren statt für die Kernkraft für die Windenergie entschieden. Stellt euch das mal vor. Es klingt märchenhaft, aber wir hätten es tun können. Der Wind wehte schon vor den Windrädern. Das war keine wissenschaftliche Entdeckung. Das heißt, wir müssen jetzt wirklich etwas tun.
Und dann wissen wir nicht genau, was passiert. Wenn wir das jetzt richtig hinkriegen, dann kann es uns gelingen, aber auf der anderen Seite wissen wir schon, dass die 420 ppm, die wir jetzt haben, selbst wenn wir die jetzt deckeln, dass die natürlich heizen.
Das muss ich jetzt einfach nur mal sagen, weil das für mich eine relativ neue Erkenntnis ist, obwohl ich die Zahlen so oft schon vor meinem geistigen Auge gehabt habe. Ihr habt ja wahrscheinlich schon ein bisschen was dazu gemacht.
Die vorindustrielle Konzentration von CO2 war 280 ppm. Das ging lange Zeit so. Ich bin 1960 auf die Welt gekommen und da waren es 310. Das heißt von 1800 bis 1960 sind gerade mal 30 ppm dazu gekommen. Das sind grob 10 Prozent. Die restlichen 90 Prozent sind in den letzten 63 Jahren dazu gekommen. Da sieht man diese wahnsinnige Beschleunigung. Das heißt aber auch, dass früher die natürlichen Prozesse der Natur die damaligen CO2-Mengen noch aufnehmen konnten. Und das geht uns jetzt verloren.
Und aktuell, das ist sicherlich eine der schlimmsten Erkenntnisse, ist die Erwärmung der Meere. Wenn das Wasser zu warm wird, dann wird CO2 emittiert und das ist ganz schlecht. Das hat mich echt umgehauen. Ich habe mit ein paar Ozeanografen darüber gesprochen und die haben auch gesagt: „Das sieht nicht gut aus.“

Johannes Buchmann:
Um das Ganze wieder auf das Thema Kimaschule zu lenken, wir wollen ja Kimaschule werden. Unsere Frage wäre noch, welche Chancen würden Sie für uns sehen als Kimaschule und wie wir da zur Gesamtsituation beitragen würden?

Harald Lesch:
Also erst mal ist es so, dass allein nur das Projekt Klimaschule eine Schule schon verändert. Weil wenn alle sich damit beschäftigt haben, dann entsteht eine ganze neue Stimmung in der Schule. Das wollen wir irgendwie schaffen. Es gibt eine Reihe von Maßnahmen, die gemacht werden können, allein mal, um zu überprüfen „Was ist unserer ökologischer Fußabdruck?“.
Und was ihr feststellen werdet, ist, dass man in so einer Schule gar nicht alle Leute mitnehmen kann, dass es immer welche gibt, die daran beteiligt sein werden und andere nicht. Und dass es euch scheißegal sein muss. Also diejenigen, die es machen wollen, die machen es. Die machen es deswegen, weil sie davon überzeugt sind und die machen und machen. Und wenn diese Macherinnen und Macher 3,5 Prozent der Schülerinnen und Schüler sind, dann wird das gelingen. Das ist alles, was man braucht. Man braucht 3,5 Prozent Change-Agents, ungefähr 20 Prozent, die dem Ganzen positiv gegenüberstehen und der Rest ist egal. Die ziehen schon mit, weil nichts hat mehr Attraktivität als Erfolg. Es geht langsam, aber je mehr das machen, desto schneller geht es. Es wird die Schule verändern.
In dem Moment, wo eine Schule Klimaschule wird, ist es so: „Wir sind hier Klimaschule und ihr nicht.“ Das wird die Schule verändern. Es gibt eine riesige Bandbreite von Sachen, die ihr machen könnt. Das Erste, was gemacht werden muss, ist die Frage der Mobilität. Das ist das Allerwichtigste. Man kann über die Ernährung reden und so weiter, kann man immer wieder, bei allen Dingen, darauf aufmerksam machen. Also die anderen immer wieder so ein bisschen, wie sagt man im Englischen so schön, nudgen, anstoßen.
Schade, dass meine Frau nicht dabei ist. Wenn ich das gewusst hätte! Wir machen viele Lehrerfortbildungen und da sind zum Beispiel so Sachen dabei, dass eine Schülerin gesagt hat: „Ich habe keinen Bock, mir irgendwelche Klamotten zu kaufen, ich hab eigentlich meistens Second-Hand, aber die anderen mobben mich da.“ Und da hat meine Frau ihr empfohlen, schreib es doch einfach mal ans schwarze Brett, dass du Second-Hand-Klamotten bekommst. Am Ende waren die, die sich ständig mit neuen Klamotten beworfen haben, eigentlich in der Minderheit. Das ist dann das, was man den sozialen Kipppunkt nennt. Und das ist eine große Chance, dass wir dadurch, dass wir Menschen eben sehr stark dialogisch ausgerichtet sind, nämlich auf den anderen, wie sieht der die andere uns, Menschen beeinflussen können. Selbst dann, wenn sie eigentlich gar nicht mitmachen wollen. Sie können sich dann dem Gruppenzwang nicht entziehen. Das finde ich eine schöne Sache.
Das ist eigentlich das Allerwichtigste an der Klimaschule, dass sich die Atmosphäre in der Schule verändert, wenn auf einmal Lehrerinnen und Lehrer, Schülerinnen und Schüler und der ganze Haufen, der in dieser Schule jeden Tag was miteinander zu tun hat, immer sagt: „Wir sind Klimaschule.“ Wenn die Putzfrau sagt: „Ich muss hier noch putzen, weil jetzt kommen die demnächst, das muss sauber sein.“

Mara Weeß:
Und eigentlich sind wir schon fast am Ende. Wir wollten Sie nur noch fragen, ob sie uns noch irgendwelche Tipps mitgeben können.

Harald Lesch:
Also ich muss ja immer wieder sagen, meine Generation ist für ziemlich viel Mist verantwortlich, der euer jugendliches Leben eigentlich ziemlich erschwert, ohne dass das so geplant war. Aber durch den enormen ökonomischen Druck, der um euch herum entsteht und durch den großen Informationsdruck, Connections- und Verbindungsdruck entsteht meiner Ansicht eine Phase in eurem Leben, die viel zu ernst ist. Ihr seid viel zu ernst. Ihr seid nicht chaotisch genug oder zu wenig spielerisch, ihr spielt zu wenig. Das ist mein Eindruck, kann ja ganz falsch sein.
Aber ich fände es toller, wenn mehr gespielt würde, und zwar im 3D-Sinne gespielt. Und nicht auf irgendwelchen Flachbildschirmen oder irgendwelche Bits und Bytes durch die Welt geschickt werden, sondern dass einfach mehr 3D passiert. Das kann ich euch nur raten, die Welt ist 3D und sie ist großartig in 3D. 2D ist immer zu wenig und alles, was im Leben schön ist, ist in 3D noch viel schöner. Direkte Erfahrungen zu machen, mit der Hand Erfahrung zu machen, zu merken, wer man ist, das finde ich sehr erstrebenswert.
Nicht zu viel zu intellektualisieren, sondern wirklich teilweise erst mal persönliche Erfahrungen zu machen. Die Welt auf sich zukommen zu lassen. Das kann ich euch nur wünschen, weil es eine der schönsten Erfahrungen ist, die man im Leben machen kann, wenn man einfach mal da ist und nichts will.
Ich sag das auch deswegen, weil ich natürlich unglaublich viele Studentinnen und Studenten mit so einer Checkliste erlebe. Die kommen an die Uni, haben so eine Checkliste, da muss ein Auslandsemester sein, drei Sprachen müssen gesprochen werden, was weiß ich noch alles. Entspann dich, du bist doch noch so jung. Halte den Ball flach und guck erst mal ein bisschen. Die kommen teilweise mit 17 schon an die Uni und dann sind dann auch die Mütter dabei, die sagen, „Mein Gott, mein Ludger, der ist irgendwie glutenintolerant.“. Und dann gehen die mit denen in die Mensa und gucken da, das ist ja so peinlich. Gott, ist das peinlich! Und wenn die mich dann hinterher bei den Einführungsveranstaltungen sehen und sagen: „Herr Lesch, das war nicht so gemeint, dass meine Mutter da jetzt dabei war.“ Dann sage ich: „Ja, ja, schon gut.“
Also, seid so selbstständig, wie es nur irgendwie geht, ohne den Kontakt zu den Alten abreißen zu lassen. Versucht, was auszuprobieren, zu spielen, vor allem Fehler zu machen und sich das auch zu gönnen, nicht alles so ganz perfekt hinzukriegen und langsam zu sein und auszuprobieren.
Eine Berufsausbildung vielleicht vorher zu machen, bevor man an die Uni geht, damit man noch mal mit einer ganz anderen Welt in Kontakt kommt. Und dann ein freiwilliges soziales Jahr zu machen. Das ist so wichtig. Du erfährst einfach eine Menge über dich, dadurch, dass du mit anderen etwas machst. Und zwar in 3D.
Natürlich gibt es das auch in 2D und so weiter, aber ich glaube, Corona hat allen gezeigt: 2D ist nett, aber nett ist die kleine Schwester von …. Insofern ist 3D Leben, also Full-Life-analog, das ist es. Macht euch keine Gedanken, wir kriegen das schon zusammen hin.

Janosch Papp:
So, wir sind eigentlich im Ende vom Interview. Danke für die vielen Antworten auf die vielen Fragen.

Harald Lesch:
Gerne.